Angewandte Linguistik

Das Konzept der Angewandten Linguistik, wie es seit längerer Zeit im deutschsprachigen und nun zunehmend auch im internationalen Raum verstanden wird, umfasst alle Aspekte der Forschung, der Bildung und Ausbildung, die sich mit der Analyse und Lösung von sprach- und kommunikationsbezogenen Problemen in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens und gesellschaftlicher Interaktion befassen. Damit wird Angewandte Linguistik u.a. im deutschsprachigen Raum viel weiter gefasst als traditionell im angelsächsischen, wo Angewandte Linguistik häufig auf Fragen der Vermittlung von Fremdsprachen beschränkt wurde und teilweise noch wird. Einen Überblick über die Geschichte der GAL, ihr Konzept der Angewandten Linguistik sowie die Arbeitsfelder und Aktivitäten der GAL findet sich im European Journal of Applied Linguistics: Göpferich, Susanne (2014): „GAL: The German Association for Applied Linguistics.“ European Journal of Applied Linguistics 2.1: 145-157.

Anwendungsfelder

Das Aufgabengebiet der Angewandten Linguistik wird je nach Forschungstradition unterschiedlich gefasst. Im angelsächsischen Raum zum Beispiel wird „Applied Linguistics“ oft auf Sprachunterricht und Übersetzen eingegrenzt. Im deutschsprachigen Raum hingegen umfasst die Angewandte Linguistik ein breites Spektrum von der Vermittlung mutter- und fremdsprachlicher Sprech-, Schreib- und Lesefähigkeiten über die klinische Behandlung von Sprachstörungen bis zur Untersuchung kultureller und technischer Kommunikationsprobleme. Solche Aufgabengebiete sind u.a. (vgl. auch Knapp et al. 2007):

  • Sprachunterricht und Sprachdidaktik (in Muttersprache und Fremdsprache)
  • Schreib- und Leseprozesse (Schreib- und Schrifterwerb, Schreibdidaktik, Schreibtraining, Alphabetisierung)
  • Mündliche Kommunikation (Spracherwerb, Sprecherziehung, Förderung kommunikativer Kompetenzen, Gesprächstraining und Angewandte Gesprächsforschung)
  • Nonverbale Kommunikation (Prosodie, Gestik, Mimik, auch Gebärdensprache)
  • Multimodale Kommunikation (Verknüpfung von geschriebener und gesprochener Sprache, Prosodie und Typografie, statischen und dynamischen Bildern/Grafiken, Ton, Gestik und Mimik)
  • (Optimierung der) Kommunikation im Beruf, darunter:
    – interne und externe) Kommunikation in und von Wirtschaftsunternehmen
    – Verwaltungskommunikation
    – Medizinische und therapeutische Kommunikation
    – Kommunikation in Medienunternehmen (z.B. journalistisches Schreiben und journalistisches Sprechen)
    – Kommunikation vor Gericht
  • Sprache und Gesellschaft (z.B. Dialekte, Sprachbarrieren)
  • (Massen)mediale Kommunikation (Print-, Funk- und Computermedien)
  • Werbekommunikation
  • Klinische und therapeutische Kommunikation (Messung von Sprachkompetenzen, Diagnose und Therapie von Sprachstörungen)
  • gerichtliche Gutachten zu Sprache und Kommunikation (Forensische Linguistik)
  • Übersetzen und Dolmetschen
  • Mehrsprachigkeit (z.B. Bilingualismus, Kontrastive Linguistik) und Interkulturelle Kommunikation
  • Technische Kommunikation und Dokumentation (z.B. Gebrauchsanweisungen)
  • Terminologie und Fachsprachenforschung (z.B. Fachwörterbücher, Glossare, Standardisierung von Kommunikation)
  • Computergestützte Sprachverarbeitung (Texttechnologie, Hypertextkonstruktion, Evaluation von Websites, linguistische Datenverarbeitung, maschinelle Recherche- und Übersetzungshilfen, Spracherkennung, Mensch-Maschine-Interaktion, Lernsoftware)
  • Wörterbuchschreibung und Wörterbuchpflege
  • Beratung bei Sprachpolitik und Sprachplanung
  • Sprachberatung und Schreibberatung, individuell und für die Öffentlichkeit (Rechtschreibung, Grammatikregeln, Textplanung, Stilempfehlungen)
  • Gesprächsberatung und praktische Rhetorik
  • wissenschaftlich fundierte Sprachkritik

Adressatinnen und Adressaten für angewandt-linguistische Erkenntnisse sind – neben der allgemeinen Öffentlichkeit und Studierenden sprach- und kommunikationsbezogener Fächer – insbesondere Personen und Organisationen, die in ihrem professionellen Alltag mit Sprach- und Kommunikationsproblemen befasst sind, ohne selbst auf dem (aktuellen) Kenntnisstand wissenschaftlicher Forschung zu sein. Andererseits eröffnet die Angewandte Linguistik mit den von ihr vermittelten Kompetenzen neue Berufsfelder für Absolvierende linguistischer Studiengänge (vgl. Becker-Mrotzek/Doppler 1999, Becker-Mrotzek/Brünner/Cölfen 2000).

Literatur:

  • Becker-Mrotzek, Michael/Christine Doppler (Hg.) (1999): Medium Sprache im Beruf. Eine Aufgabe für die Linguistik. Tübingen: Narr. (ISBN 3823353551)
  • Becker-Mrotzek, Michael/Gisela Brünner/Hermann Cölfen (Hg.) (2000): Linguistische Berufe. Frankfurt/Main: Lang. (ISBN 3631368208)
  • Knapp, Karlfried/Gerd Antos/Michael Becker-Mrotzek/Arnulf Deppermann/Susanne Göpferich/Joachim Grabowski/Michael Klemm/Claudia Villiger (Hg.) (2007): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: Francke. (=UTB 8275, ISBN 3825282767)
  • Reihe „Forum Angewandte Linguistik“ F.A.L. ( https://www.peterlang.com/series/6152)

Geschichte

Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass der Begriff der „Angewandten Linguistik“ 1948 mit der ersten Ausgabe der Zeitschrift Language Learning eingeführt wurde, die dieses Kompositum in ihrem Untertitel A Quarterly Journal of Applied Linguistics führte. Vor diesem Hintergrund wird in der anglophonen Literatur noch heute „Angewandte Linguistik“ vorrangig mit dem Fremdsprachenunterricht verknüpft. Allerdings ist diese Theorie des Ursprungs von „Angewandte Linguistik“ historisch falsch: Nach Back (vgl. Back, Otto (1970) „Was bedeutet und was bezeichnet der Begriff ,angewandte Sprachwissenschaft‘?“, Die Sprache 16, 21-53) kann das Konzept der Angewandten Linguistik bis zum frühen 19. Jahrhundert in Europa zurückverfolgt werden. Der Begriff „Angewandte Sprachwissenschaft“ wurde hier bereits im frühen 20. Jahrhundert verwendet – als Gegensatz zu „reiner oder theoretischer Sprachwissenschaft“, und bezogen auch auf andere Anwendungsfelder als den Sprachunterricht.

(Entnommen aus: Knapp, Karlfried (2011) „Angewandte Linguistik in Deutschland – eine Disziplin?“, Histoire Épistémologie Langage 32/1. 117-128.)

Kommentierte Links

Hier finden Sie Links zu online Ressourcen und weiteren interessanten Informations-möglichkeiten rund um das Thema der angewandten Linguistik. Wir weisen darauf hin, dass wir für den Inhalt der angegeben Links nicht verantwortlich sind.

Informationsbeschaffung

Die Linse – www.linse.uni-due.de

Die Basis für Studierende, Dozierende und Linguistik-Interessierte. Hier wird Ihnen ein Diskussionsforum geboten, verschiedene Publikationen, weiterführende Links und Sonderseiten zur Thematik Schule und Computer.

CercleS – www.cercles.org

Der europäischer Dachverband unabhängiger Vereinigungen von Sprachenzentren aus 22 europäischen Ländern umfasst etwa 300 Sprachenzentren, Seminare, Institute, Fakultäten oder Fachbereiche der Hochschulen, deren Hauptaufgabe in der Sprachausbildung liegt.

Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute – www.aks-web.de

Der AKS bietet allen Institutionen und Personen, die auf den Gebieten der sprachpraktischen Ausbildung an der Hochschule, der sprachdidaktischen Ausbildung und Fortbildung und der Sprachlehrforschung sowie der sprachdidaktischen Forschung tätig sind, ein Forum für gemeinsame Arbeit, Erfahrungs- und Informationsaustausch.

Organisationen

AILA – www.aila.info

AILA ist die Abkürzung für Association Internationale de Linguistique Appliquée oder Internationale Vereinigung für Angewandte Linguistik. Durch die internationale Vereinigung der nationalen oder regionalen Verbände verfügt AILA derzeit über mehr als 8.000 Mitglieder weltweit, die als Forschende, politische Entscheidungsträger*innen und Praktiker*innen tätig sind.

IDS Mannheim – www.ids-mannheim.de

„Das Institut für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim ist eine zentrale außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Es hat die Aufgabe, die deutsche Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte wissenschaftlich zu erforschen und zu dokumentieren.“