Nachruf auf Prof. Dr. Ulrich Ammon
Am 3. Mai 2019 verstarb für uns alle unerwartet Ulrich Ammon. Mit ihm verliert die deutsche Sprachwissenschaft einen Wegbereiter der Soziolinguistik und einen ihrer profiliertesten Vertreter. Seine frühen Forschungen zur Dialektbarriere waren wegweisend für unser Verständnis des Zusammenhangs von Sprachgebrauch, Bildung und sozialer Ungleichheit. Fälschlich wurde seine Position oft als Diskreditierung des Dialekts verstanden; es ging Ulrich Ammon aber vielmehr darum, die gesellschaftlichen Hindernisse für den sozialen Aufstieg von Dialektsprechern zu erkunden und Wege zu ihrer Überwindung finden. Neben strukturlinguistischen Untersuchungen befasste er sich schon früh mit der Rolle von Spracheinstellungen und Normen für die sprachliche Praxis und für das Prestige der SprecherInnen. Dieses Interesse führte ihn zur Bildung von Modellen, mit denen Prozesse der Standardisierung und Kodifikation von Sprache als Resultat der Interaktion unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure begreifbar und vorhersagbar wurden. Unter dieser Perspektive entstand auch sein Interesse am Deutschen als plurizentrischer, plurinationaler Sprache. Ein epochales, auch im internationalen Maßstab nach wie vor einzigartiges Werk ist das von ihm initiierte Variantenwörterbuch, das die Unterschiede der nationalen Varietäten und der regionalen Standardvarietäten des Deutschen im lexikalischen Bereich in eindrucksvoller Weise umfassend und onomasiologisch vergleichbar dokumentiert.
Ulrich Ammon war der GAL eng verbunden. Mehrere Jahre leitete er die Sektion „Soziolinguistik“ und war von 2003-2006 Präsident der GAL. Unter seiner Präsidentschaft gelang es, die AILA-Welttagung nach Deutschland zu holen, die 2008 in Essen stattfand. Über all die Jahre als Professor (seit 1974) ist er der Universität Duisburg(-Essen) treu geblieben. Umso internationaler waren dagegen seine umfängliche Vortragstätigkeit und seine Aufenthalte als Gastprofessor auf sechs Kontinenten. Er unterhielt intensive Kontakte zur Auslandsgermanistik in zahlreichen Ländern und war immer bestrebt, den Wert und die Schönheit des Deutschen als lernenswerte Sprache und als Schlüssel zu einer faszinierenden Kultur und einer reichen Wissenschaftswelt vermitteln. Ulrich Ammon war einer der wichtigsten Botschafter der deutschen linguistischen Forschung in aller Welt. Das Nachdenken über die Stellung des Deutschen in der Welt und im Kontext anderer Sprachen, vor allem in Relation zum Englischen, doch auch bspw. in Osteuropa und Ostasien, war Ulrich Ammon ein zentrales Anliegen. Die Rolle des Deutschen als Wissenschaftssprache und innerhalb der EU in Bildung, Wissenschaft, Institutionen, Politik und zuletzt auch im Tourismus betrachtete er dabei nicht nur mit Blick auf sozio-politische Dynamiken, sondern auch als interessierter Verfechter des Status des Deutschen im internationalen und besonders im europäischen Kontext.
Ulrich Ammon war ein streitbarer Wissenschaftler. Er nahm stets intensiv, konzentriert und beredt an Diskussionen im fachlichen, aber auch im (wissenschafts-)politischen Kontext teil. Er zog die klare Artikulation von Dissens oberflächlicher Harmonie oder einem zur Beliebigkeit neigenden Pluralismus vor. Ulrich Ammon war ein Unbequemer. Auch die, die mit seinen oft pointierten Thesen und Einschätzungen nicht übereinstimmten, haben die Klarheit seiner Argumentation geschätzt und von der Schärfe seiner Gedankengänge und seiner Begriffsarbeit viel gelernt. Ulrich Ammon war uns als GALierInnen stets ein Vorbild darin, den akademischen Diskurs in die Öffentlichkeit zu tragen und auf politische Entscheidungsprozesse mit wissenschaftlichen Argumenten Einfluss zu nehmen. Seine Vision des kritischen Intellektuellen, der für eine empirisch fundierte und sozial engagierte Linguistik im wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskurs vertritt, ist Vermächtnis für unser Selbstverständnis als Angewandte LinguistInnen.
Prof. Dr. Arnulf Deppermann, IDS-Mannheim